Eine Traube, grosse Vielfalt

Eine Reise in die Geheimnisse des Merlots der Cantina alla Maggia

Der Besuch in der Cantina alla Maggia zeigt: Die Merlottraube birgt unzählige Möglichkeiten. Ob daraus leichter Weisswein, funkelnder Rosé oder gehaltvoller Rotwein wird, liegt am Geheimnis der Vinifizierung. Und diese basiert auf komplexen Entscheidungen. Ettore Biraghi, Chefönologe der Cantina alla Maggia, fällt die ersten bereits vor der Weinlese.

DIE KUNST DER ERNTE

Den perfekten Traubentiming für Wein


Schwer hängen die Trauben an den Rebstöcken der Cantina alla Maggia. An diesem prächtigen Herbsttag im September pflückt Ettore Biraghi zwei der saftigen Beeren, puhlt die Kerne heraus und legt sie vorsichtig auf seine Handfläche. Für Laien mutet das an wie ein Blick in die Glaskugel. Für den erfahrenen Önologen jedoch ist dies ein bewährtes Vorgehen, um den richtigen Erntezeitpunkt festzule- gen.

«Sind sie braun, haben die Trauben bereits intensivere Aromen entwickelt — daraus keltern wir unsere Rotweine wie Ascona Riserva, Il Querceto Riserva oder Barbarossa Riserva. Noch frische, grüne Kerne wie diese sind jedoch ideal für Weiss-und Roséwein», erklärt er.

Weisswein aus dunklen Trauben? Genau. 

Blanc de Noir heisst der Wein, wenn die rote Traube weiss gekeltert wird. Denn so dunkel ihre Haut auch ist, das Fruchtfleisch ist farblos. Und werden die Merlottrauben sehr schonend gepresst, ohne dass der Saft lange in der Maische liegt, schimmert der Wein hellgelb und erhält ein frisches, elegantes Aroma.

Der La Lepre der Cantina alla Maggia besteht zu 70 Prozent aus Merlot und wird mit anderen weissen Trauben verfeinert. Für den Rosé La Pernice lässt Ettore Biraghi die Schalen gerade lang genug mit dem Most in Kontakt, um eine zarte lachsrote Farbe und eine Spur der Tanninstruktur zu extrahieren.

Zusätzlich nutzt das Team rund um Ettore Biraghi auch Aktivkohle, um gezielt Farbpigmente zu entfernen und so eine besonders helle, leuchtende Roséfarbe zu erzeugen. 

Terracotta-Amphore,
Barrique oder Stahltank?

Die nächsten Weichenstellungen erfolgen im Weinkeller: Terracotta-Amphore, Barrique oder Stahltank? Jede Methode prägt die Reifung des Weins auf ihre eigene Weise.

In Edelstahltanks kommen die Weissweine und leichten Rosés. Die reduktive — also sauerstofffreie — Lagerung verhindert eine Oxidation, wodurch der Jungwein seine Frische und Fruchtigkeit bewahrt. Will Ettore Biraghi den ursprünglichen Charakter der Traube weitgehend beibehalten, wählt er die Amphore. «Die poröse Struktur von Terracotta ermöglicht eine subtile Sauerstoffzufuhr, was dem Wein eine feine Textur und ein unverfälschtes Aroma verleiht.» Für die komplex ausgebauten Weine wie Ascona Riserva oder Il Querceto Riserva ist ein Barrique-Ausbau unerlässlich. Die Eichenfässer verleihen dem Merlot Tiefe und Struktur.
Der Wein nimmt Holznoten und leichte Tannine auf, was ihn voller und runder macht. Während einer Lagerung von bis zu 30 Monaten kann sich die ganze Eleganz und Komplexität der preisgekrönten Weine der 
Cantina alla Maggia entwickeln.

Für komplexe Weine ist ein Barrique-Ausbau unerlässlich. Die Eichenfässer verleihen dem Merlot Tiefe und Struktur. 

Ob Stahl, Terracotta oder Eichenfass — alle tragen sie ein Schild mit einem Zahlen- code. Dieser gibt beispielsweise Aufschluss über die Lage und das Alter der Wein- stöcke, deren Traubensaft darin reift. Das ist die Basis für die nächste Entscheidung: Welcher Jungwein von welchen Rebstöcken landet zusammen in welchem Fass?

Hier spielt die grosse Erfahrung des 47-Jährigen eine massgebliche Rolle. Seit zwei Jahren verantwortet der gebürtige Italiener die Weine der Cantina alla Maggia und die Vision, in allen Weinkategorien zur «Best in Class» zu gehören. Der Absolvent der Önologie-Fakultät in Mailand hat seit 2012 im Tessin seine Heimat im Weinbau gefunden. Als mehrfach ausgezeichneter Winzer — darunter «Rookie des Jahres» (2017) und gemäss GaultMillau einer der «Besten Winzer der Südschweiz» (2019) — zählt Ettore Biraghi zu den führenden Persönlichkeiten in der Schweizer und internationalen Weinszene.

 

Von der Ernte über die Gärung bis zur Reifung in den Fässern: Die Weinherstellung ist ein Prozess der Transformation der Elemente, der ein gutes Auge und ein Gespür für Trends erfordert. Denn der Weingeschmack wandelt sich. So sind leichte Weine immer mehr gefragt, auch Rosé hat stark an Beliebtheit gewonnen.

«Dank dem regelmässigen Austausch mit unseren Sommeliers Antonio Pischedda (Cantina alla Maggia), Sergio Bassi (Castello del Sole) und Stefano Petta (Director of Wine The Living Circle) kann ich auf die Wünsche der Gäste eingehen», sagt Ettore Biraghi.

 

Doch etwas Vorlaufzeit braucht es trotzdem. Um die Weissweinproduktion aus Merlot zu steigern, werden die Triebe im Winter bis auf den Stamm herunter- geschnitten. Je mehr der frischen Triebe Biraghi im Frühling stehen lässt, desto mehr Trauben wachsen. So kann sich die ganze Energie des Rebstocks auf viele Beeren verteilen. Die Folge: Die daraus gewonnenen Weine werden leicht und fruchtig. Und so entsprach der Rosé, der im Frühling 2025 auf den Markt kam, nicht nur geschmacklich dem Trend. Auch die Farbe ist heller und leuchtet  mehr. «Denn wie beim Essen spielen die Augen auch beim Weingenuss eine wichtige Rolle.»

Anina Rether